Ein Wasserfleck an der Decke lässt sich leicht übermalen. Doch wenn man nicht nach dem Leck sucht, wird der Fleck immer wiederkommen. Zu oft gehen wir Probleme genauso an: Wir überdecken Symptome, schaffen schnelle Lösungen, ohne nach den Ursachen zu fragen. Es fühlt sich aktiv an – doch wir drehen uns im Kreis. Das zeigt sich auch, wenn wir bei „schwierigen Kindern“ nur an der Oberfläche bleiben. Schnell wird das Verhalten problematisiert und es wird vergessen hinzuschauen, welche Rollen, Beziehungen und Spannungen dieses Verhalten prägen. Mit einer systemischen Perspektive erkennen wir, dass individuelles Verhalten immer in ein soziales Gefüge eingebettet ist. Veränderung entsteht erst, wenn wir diese Wechselwirkungen verstehen – und gemeinsam neue Handlungsmöglichkeiten schaffen. Wer verändern will, muss verstehen – deshalb bauen wir unsere Arbeit auf fundierten theoretischen Konzepten auf, die uns Orientierung und Tiefe geben. Gleichzeitig entwickeln wir eigene Ansätze weiter. Grundlage dafür ist unter anderem eine aktuell laufende Einsamkeitsstudie, die die Vereinsgründer:innen durchführen. Die Erkenntnisse fließen direkt in unser eigenes Modell zur Beziehungsvielfalt ein. Im Folgenden stellen wir die zentralen theoretischen Grundlagen vor, die unsere Arbeit prägen.
Kritische Pädagogik
Unsere Arbeit ist von der kritischen Pädagogik inspiriert, wie sie Paulo Freire formulierte: Bildung soll nicht bloß Wissen vermitteln, sondern Bewusstsein schaffen. Im Zentrum steht ein dialogisches Lernverständnis, das soziale Ungleichheit sichtbar macht und gemeinsam mit Lernenden reflektiert. Wir schaffen Räume, in denen Kinder, Jugendliche und Fachkräfte ihre Erfahrungen ernst genommen wissen – als Ausgangspunkt für Reflexion, Positionierung und aktives Mitgestalten.
Anti-Bias-Ansatz
Der Anti-Bias-Ansatz bietet uns eine praxisnahe Grundlage für diskriminierungskritische Bildungsarbeit. Dabei geht es um die Auseinandersetzung mit Vorurteilen, Privilegien und Machtverhältnissen – intersektional und alltagsbezogen. Unser Ziel ist es, Vielfalt nicht nur zu thematisieren, sondern Strukturen und Haltungen zu hinterfragen, die Ausschlüsse produzieren. An dieser Stelle wird auch das Modell der sozialen Identität relevant, das erklärt, wie Gruppenzugehörigkeit unser Selbstbild und unser Verhalten prägt – und wie Zugehörigkeit gleichzeitig Ressource und Risiko sein kann.
Sozial-emotionales Lernen (SEL)
Emotionale und soziale Kompetenzen sind zentrale Voraussetzungen für gelingende Bildungsprozesse. Mit dem Ansatz des sozial-emotionalen Lernens sollen Kinder und Jugendliche darin unterstützt werden, Gefühle wahrzunehmen, mit Konflikten umzugehen, Empathie zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen.
Systemische Perspektive
Wir betrachten individuelles Verhalten immer im Zusammenhang mit sozialen Beziehungen, Rollen und Strukturen. Eine systemische Perspektive ermöglicht es, nicht Defizite zu problematisieren, sondern Wechselwirkungen zu erkennen und Ressourcen sichtbar zu machen. Schule, Familie oder Peergroups sind keine isolierten Bereiche – sie sind Teile eines sozialen Systems, das verändert werden kann. In dieser Verbindung aus Reflexion, Beziehung und Strukturveränderung liegt das, was unsere Bildungsarbeit im Kern ausmacht: Empowerment.
Unser Modell zur Beziehungsvielfalt
Unser Modell zur Beziehungsvielfalt basiert auf einem integrativen Verständnis sozialer Rollen, das individuelle, interpersonelle und gesellschaftliche Dimensionen miteinander verknüpft. Es unterscheidet drei Analyseebenen – das Ich, das Wir und die Gesellschaft – und beleuchtet, wie Menschen in verschiedenen Rollen (etwa als Mentor:in oder Wegbegleiter:in) unterschiedliche Funktionen für ein gelingendes soziales Netz erfüllen. Um der Komplexität menschlicher Beziehungen gerecht zu werden, arbeitet das Modell mit grundlegenden Spannungsfeldern, die eine dynamische Betrachtung von Beziehungsgestaltung ermöglichen. Ziel ist es, Beziehungen nicht nur als dyadische Verbindungen, sondern als sozial eingebettete Rollenpraktiken zu verstehen, die zur persönlichen Entwicklung ebenso beitragen wie zur kollektiven Resilienz.